Mammographie-Screening:

Screening ist eine systematische Reihenuntersuchung von gesunden Frauen, die bisher unerkannte Brustkrebsfälle finden soll. Einige Länder, z.B. Holland haben seit längerem ein Screening, andere, z. B. die Schweiz, haben sich dagegen entschieden. Seit mehreren Jahren laufen auch bei uns die Modellprojekte in Bremen, Wiesbaden und Weser-Ems. Ab 2005 wird es schrittweise für alle Frauen von 50-69 Jahren eingeführt. Die Frauen erhalten unaufgefordert eine Einladung zur Mammographie, eine ärztliche Untersuchung oder Beratung findet nicht statt.

Frauen und auch Ärzte glauben naturgemäß an den Nutzen eines Screening, doch dieser ist umstritten: Sicherlich werden einige Frauen vor dem Tod an Brustkrebs bewahrt, aber der weitaus größte Teil der Screening-Teilnehmerinnen hat keinen Nutzen, sondern Nachteile, einige sogar einen Schaden von dieser Form der Früherkennung. Der nachfolgende Artikel setzt sich kritisch mit den Mammographie-Screening auseinander. Er ist primär für Ärzte geschrieben worden, doch auch Laien verständlich.

Mammographie-Screening - überschätzen wir den Nutzen?

Autor: Dr. H.-J. Koubenec (Impressum)
Quelle: Berliner Ärzte 8/2000

Spätestens seit dem Essener Brustkrebs-Diagnose-Skandal ist auch dem informierten Laien klar, dass Diagnostik auch erhebliche Risiken in sich birgt - dort sogar bis zum Verlust der weiblichen Brust. Patienten glauben gern an medizinisch-diagnostische Tests, z. B. die Richtigkeit des Ergebnisses einer Routine-Mammographie: "Ist der Test positiv (ist die Mammographie bösartig), habe ich auch Krebs. Ist die Mammographie negativ, bin ich gesund. Wenn ich Krebs habe, findet ihn auch die Mammographie." Leider ist keine dieser Annahmen richtig.

Auch wir Ärzte können irren.

Die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose kann hoch sein, wenn es um die Aussagekraft eines Suchtests geht. Beispiel: Mammographie-Screening (Mg-S):

Eine 50-jährige symptomlose Frau erhält bei einer Früherkennungs-Mammographie einen positiven Befund. 95% der befragten Ärzte würden der Frau daraufhin eröffnen, dass sie mit 80%-iger Wahrscheinlichkeit tatsächlich Brustkrebs habe. Dies ergab eine Untersuchung in den USA (4). Oder hätten Sie etwas anderes gesagt? Die befragten Ärzte hatten noch folgende Informationen: Prävalenz1 Brustkrebs 1%, Sensitivität1 Mammographie 90%, Spezifität1 90%. Die Patientin hat aber nur mit knapp 10% Wahrscheinlichkeit tatsächlich Brustkrebs (positiver Vorhersagewert, ppV)1. Wir beraten also Frauen und indizieren Untersuchungen, über deren Aussagekraft und Folgen die meisten von uns Ärzten keine sicheren und klaren Vorstellungen haben.
Durch die öffentliche Diskussion, vor allem auch auf Druck der Frauen selbst, auch in Deutschland ein flächendeckendes Mg-S einzuführen, ist das Thema zurzeit in den Medien, auf Kongressen und in Fachgremien stark präsent. Es mag auch ökonomische Gründe haben, weshalb ein Mammographie-Screening in Deutschland nicht realisiert ist, es sind aber auch die zunehmenden Zweifel der Fachleute am Nutzen solcher Programme, die bisher die Einführung in Deutschland verhindert haben. Die unerwünschten Wirkungen eines Screenings wurden bisher weit weniger beachtet als der mögliche Nutzen. Außerdem würde durch ein Mg-S die Qualität ärztlicher Leistung überprüfbar, wovor es vermutlich erhebliche Ängste gibt.
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1 s. Statistik-Kasten

Von Befürwortern herausgehoben wird besonders die Senkung der Mortalität durch ein flächendeckendes, qualitätsgesichertes Mammographie-Screening. Die Rede ist häufig von 20 bis 30% oder absolut 2.000 bis 3.000 pro Jahr (8). Diese Zahlen haben auch viele Ärzte vor Augen, wenn sie Patientinnen heute schon zum so genannten "verdeckten Screening" schicken. Teilweise bitten auch Patientinnen ihre Ärzte um eine "Vorsorge-Mammographie". Vom hohen Nutzen überzeugt, veranlassen Ärzte pro Jahr schätzungsweise 4 Millionen Früherkennungs-Mammographien bei Frauen mit fiktiven Diagnosen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen, obwohl diese dafür gar nicht leistungspflichtig sind. Kosten: jährlich mehrere 100 Millionen DM. Was dafür qualitativ geliefert wird, wurde spätestens durch die Deutsche Mammographie-Studie offenbar: Einsatz veralteter Geräte, zuviel übersehene Karzinome, zuviel falsch-positive Befunde. Seitdem hat sich sicherlich einiges verbessert, vor allem gerätetechnisch. Aber auch heute, so schätzt Prof. Schulz, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Senologie, werden 5 % bis 10 % der tastbaren Karzinome in der Mammographie nicht erkannt und, so Schulz auf dem letzten Deutschen Krebskongress, "... viele Mammographien erfüllten nicht einmal die Mindeststandards an Qualitätssicherung..."(3)

Ziele, möglicher Nutzen und unerwünsche Wirkungen

Ziele

Eventueller Nutzen

Unerwünsche Wirkungen

Nutzen und unerwünschte Wirkungen von Mammographie-Screening-Programmen hängen zum Beispiel von folgenden Faktoren ab:

Um die vorbeschriebenen Vor- und Nachteile mit den Einflussfaktoren gewichten und gegeneinander abwägen zu können, kommt man nicht umhin, sich ein wenig mit Statistik und der Aussagekraft von Studien zu beschäftigen.

Beginnen wir mit ein wenig Statistik...

Begriffserklärungen - bezogen auf Mammographie-Screening

Sensitivität:
Rate der Frauen mit Brustkrebs, die auch eine positive MG haben (Rate der durch Mammographie erkannten vorhandenen Karzinome). (D)
Prävalenz: Vorkommen von Brustkrebs pro 1000 Frauen (z. B. einer Altersklasse). (B)
Spezifität: Rate der Frauen ohne Brustkrebs, die auch eine negative MG haben (Rate der durch Mammographie richtig negativen Diagnosen, bezogen auf die Gesunden). (G/C)
Positiver Vorhersagewert (ppV): Rate der Frauen mit positiver Mammographie, die wirklich Brustkrebs haben. (D/(D+F))

Häufigkeit von Brustkrebs
bei positiver Screening-Mammographie


1000 symptomfreie Frauen nehmen an einem Mammographie-Sceening teil

Zahlen nach: KERLIKOWSKE, K. et al.: J. Am. Med. Ass. 276 (1996), 39-43
Darstellung nach: Gigerenzer G., Hoffrage U. (1995) How to improve Bayesian
reasoning without instruction: Frequency formats. Psychol Rev 102: 684-704

Welche Ergebnisse wurden beim Mammographie-Screening gefunden? (Gerundete Duchschnittswerte (9))Beispiel einer Darstellung in Häufigkeiten.
A: 1000 Frauen nehmen am Screening teil.
B: davon haben 8 Frauen Brustkrebs (Prävalenz 0,8%).
C: 992 Frauen haben keinen Brustkrebs.
D: von den 8 Frauen mit Brustkrebs werden beim Screening 7 gefunden (Sensitivität ca. 90%).
E: von den 8 Frauen mit Brustkrebs wird beim Screening 1 nicht gefunden.
F: von den 992 Frauen ohne Brustkrebs haben 63 einen falsch positivem Befund (Rate falsch positiver Befunde ca. 6 %).
G: Frauen mit richtig negativem Befund (Spezifität 94%).

Positiver Vorhersagewert (positive predictive Value, ppV):
Von 1000 Frauen, die erstmals an einem Mammographie-Screening teilnehmen, haben ca. 70 einen verdächtigen Befund (D+F), 930 haben einen normalen Befund (E+G).
Von den 70 Frauen mit verdächtigem Befund haben 7 Brustkrebs (D), 63 haben keinen Brustkrebs (F) (positiver Vorhersagewert(D/(D+F) = 10%). d. h. auf einen gefunden Brustkrebs kommen im Screening knapp 10 falsch positive Befunde - und das trotz einer Rate an falsch positiven Mg-Befunden von "nur" 6%.

Trefferquoten von Mammographie-Screening:
7 von 8 Frauen mit noch unerkanntem Brustkrebs werden beim Mammographie-Screening erkannt (D). 1 Frau hat einen falsch-negativen Befund (E, Sensitivität rund 90%).
Von 992 Frauen ohne Brustkrebs (C) haben 929 tatsächlich einen unauffälligen Mammographie-Befund (G, Spezifität 94 %). 63 haben einen verdächtigen Befund (F: falsch-positive Befunde).


Vorhersagewert: Prävalenz, Sensitivität und Spezifität, wie hängen sie zusammen?

Der wichtigste Parameter für den schlechten Vorhersagewert von 10% ist die geringe Prävalenz: Haben wenige der untersuchten Frauen die gesuchte Krankheit, schlagen Mängel in der Testmethode stark auf den Vorhersagewert (ppV) durch, da Fehler (falsch-positiv und falsch-negativ) ja in der großen Gruppe der Gesunden zahlenmäßig viel stärker zu Buche schlagen als in der kleineren Gruppe der Kranken.

Ein Beispiel: Selbst unter der Annahme, dass alle Karzinome erkannt würden und nur 2 von 100 falsch positiv wären, würde, wegen der geringen Prävalenz von knapp 1%, nur ein Drittel der Frauen mit positiver Mammographie tatsächlich Brustkrebs haben (ppV 30%). Eine solche Kombination (Sensivität 100%, Spezifität 98%) ist nicht erreichbar.

Ein andereres Beispiel: Wäre die gesuchte Krankheit häufiger und hätten nicht eine, sondern 10 von 100 Frauen beim Screenen Brustkrebs, wäre der positive Vorhersagewert 80%, d. h. 4 von 5 Frauen mit positivem Mammographiebefund hätten auch tatsächlich Brustkebs. Unter solchen Umständen könnte ein Screeningprogramm großen Nutzen haben.

Der zweitwichtigste Parameter für den Vorhersagewert ist die Spezifität. Sensitivität und Spezifität wiederum hängen konkurrierend voneinander ab. Je höher die Sensitivität, desto schlechter wird die Spezifität und umgekehrt. Innerhalb einer gewissen Bandbreite kann man durch eigenes Verhalten den Schwerpunkt in die eine oder andere Richtung verlagern. Will man die Sensitivität steigern, also möglichst viele Brustkrebse erkennen, muss man auch geringer verdächtige Befunde den Krebsfällen zuschlagen. Damit steigt natürlich die Rate der falsch-positiven Befunde und die Spezifität sinkt. Werden nur die relativ sicheren Befunde den Krebsdiagnosen zugerechnet, gibt es zwar weniger falsch-positive Befunde (steigende Spezifität), aber die Rate der übersehenen Karzinome nimmt zu (sinkende Sensitivität).

Im Screening wenig Informationsgewinn?

Mit der Mammographie kann man Brustkrebs nicht diagnostizieren, nur die Wahrscheinlichkeit erhöhen, mit der Brustkrebs vorliegt oder nicht. Diese kann natürlich für den Scirrhus in der fetttransparenten Brust auch bis 100 % ansteigen. Der positive Vorhersagewert, die Wahrscheinlichkeit bei positiver Mammographie, tatsächlich Brustkrebs zu haben, ist abhängig von der Prävalenz, der Sensitivität sowie Spezifität der Mammographie (s. Statistik-Kasten). In unseren Beispiel beträgt er nur ca. 10 %, eine Zahl, die in einer amerikanischen Untersuchung ermittelt wurde(9). Es ist anzunehmen, dass in der gegenwärtigen Situation in Deutschland, mit nicht qualitätsgesichertem, verdecktem Screening, der positive Vorhersagewert in etwa ähnlich ist. Durch enorme Anstrengungen zur Qualitätsverbesserung (Aufnahmetechnik, erfahrene Spezialisten, Doppelbefundung u.a.), lassen sich Sensitivität und Spezifität anheben. Ideal wären Werte von 100 %. Dann wäre auch der Vorhersagewert (ppV) 100%, und zwar unabhängig von der Prävalenz. Dies hieße: Alle Krebsfälle würden erkannt, es gäbe keine falsch-positiven Befunde und alle Brustkrebsdiagnosen stimmen. Dieses Ziel ist mit der heutigen Technik nicht erreichbar. Deswegen muss entschieden werden, wie im Sreening-Programm die Priorität zwischen Sensitivität und Spezifität gesetzt werden soll. Das oft zum Vergleich und als Vorbild herangezogene Mammographie-Screening in Holland findet qualitätsgesichert auf sehr hohem medizinischen Niveau statt. Die Holländer legen das Gewicht stark auf die Vermeidung falsch-positiver Befunde (Steigerung der Spezifität) und erreichen positive Vorhersagewerte von 40-50 %. Ein solches System ist auch wegen der geringeren Folgekosten (geringerer Rate weiter abzuklärender falsch-positiver Befunde) ökonomisch sinnvoll. Diese sehr guten holländischen Zahlen sind natürlich nur mit qualitätssichernden Massnahmen zu erreichen. Befürworter eines Mammographie-Screenings in Deutschland argumentieren gern mit diesen Zahlen, müssen dann aber auch deutlich sagen, dass die Holländer dafür Sensitivitäten zwischen 50 und 70 % in Kauf nehmen, d. h., dass u.U. die Hälfte der Brustkrebsfälle übersehen werden. Das sagt nicht, dass ein solches Vorgehen unsinnig wäre, aber eine Patientin hat ein Recht darauf, über diese Zusammenhänge informiert zu werden, um sich für oder gegen eine Teilnahme zu entscheiden.

Bei all diesen Bemühungen konnten auch die Holländer bisher keinen Rückgang der Brustkrebssterblichkeit nachweisen, im Jahre 2003 wird über die Fortführung des Sceenings entschieden. In vorläufigen Modellrechnungen zeichnet sich eine geringe Abnahme der Brustkrebssterblichkeit ab.

Weshalb merken die Ärzte eigentlich nicht...

dass Sensitivität und Spezifität von Screening-Mammographien so schlecht sind, sie sehen doch täglich die falsch-positiven Befunde und gelegentlich die bei der Mammographie übersehenen Karzinome. Mit dieser Frage konfrontierte Prof. Gigerenzer, Bildungsforscher am Max-Planck-Institut in Berlin auf dem 4. Einsiedeler-Symposium, die anwesenden Brustkrebs-Experten. Erklärungsversuche:


Tatsächlich sind Arzt und Patient zufrieden, wenn bei der Brust-OP nichts Böses herausgekommen ist; die Patientin, weil sie nichts hatte, der Arzt: "Ein Glück, dass wir's gemacht haben, es hätte ja etwas Böses dahinter stecken können."

Kein Wort darüber, dass die OP umsonst (überflüssig), ja vermeidbar war, da 90% dieser unklaren, falsch-positiven Diagnosen durch minimal-invasive Biopsien zu klären wären. (s. "Abklärung unklarer Mamma-Läsionen", 2. Arbeit).

Sinkt die Brustkrebssterblichkeit?

Die zentrale Frage des Nutzens eines MG-Screenings ist die Verringerung der Sterberate an Brustkrebs.

Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die die Evidenz von Mammographie-Screening-Programmen untersucht haben. Wie so oft, sind die Ergebnisse nicht einheitlich, und so werden diese leidenschaftlich auf Fachtagungen und in Zeitschriften diskutiert. Da wird mit Zahlen gespielt, über Randomisierung von Studien gestritten und Ergebnisse werden wegen Bias-Problemen regelrecht zerpflückt. Selbst der epidemiologisch Geschulte hat Orientierungsschwierigkeiten. Der wissenschaftliche Streit artet mittlerweile fast in einen Glaubenskrieg aus.

Hier die Zusammenfassung der Ergebnisse mehrerer Studien, bezogen auf jeweils 1000 Frauen (alle Altersgruppen) über einen Zeitraum von 10 Jahren (Mammographie alle 2 Jahre, Programme nicht qualitätsgesichert) (1,5,9,10,13 zit. nach 11).

  ohne MG-Screening mit MG-Screening

Gesamtzahl der Frauen
Beobachtungszeitraum (Jahre)
Sceening-Mammographien
Gesamtmortalität
Mortalität Brustkrebs
Senkung der Sterblichkeit (Relativ-%)
Senkung der Sterblichkeit (Absolut-%)
Diagnose Brustkrebs
Zusätzliche (vorgezogene) Diagnose
Mindestens 1 falsch positiver Befund
Biopsien ohne Brustkrebs

1000
10
-
100
4
-
-
20
-
-
-

1000
10
5000
100
3
25%
0,1%
25
5
250
50

Das heißt im Einzelnen:

  1. Von 1000 Frauen mit Mammographie-Screening über einen Zeitraum von 10 Jahren hat nur eine Frau einen Nutzen: Sie stirbt nicht an Brustkrebs.
  2. Die Brustkrebs-Sterblichkeit kann durch Mammographie-Screening um ca. 25 % gesenkt werden (Relativ-%).
  3. Die Brustkrebs-Sterblichkeit kann durch Mammographie-Screening um ca. 0,1 % gesenkt werden (dieselbe Aussage wie 1. in Absolut-%).
  4. Von 1000 Frauen mit Mammographie-Screening haben 999 keinen Nutzen: Sie sterben trotz Mammographie-Screening an Brustkrebs (3 Frauen), oder auch ohne Mammographie-Screening nicht an Brustkrebs (996).
  5. Durch Mammographie-Screening werden um 25 % mehr Brustkrebs-Diagnosen gestellt.
  6. Im Zeitraum von 10 Jahren haben 25 % der Frauen mit Mammographie-Screening mindestens einmal einen falsch-positiven Befund. Diese Rate ist bei Frauen um 40 Jahre (jährliche Mammographie) ca. doppelt so hoch (50 %).
  7. Im Zeitraum von 10 Jahren haben mindestens 5 % der Frauen mit Mammographie-Screening eine OP der Brust, ohne dass sie Brustkrebs haben. Diese Rate ist bei 40jährigen Frauen (jährliche Mammographie) ca. viermal so hoch (20 %).


In einem qualitätsgesicherten Screening sind eine geringere Biopsierate und eine höhere Spezifität zu erwarten.

Hat eine von 1000 Frauen wirklich einen Nutzen?

Der kontroversen Diskussion über den Nutzen eines Mammographie-Screening wurde kürzlich durch eine Arbeit im Lancet (6) die sichere Datenbasis entzogen: Wissenschaftler des Kopenhagener Cochrane-Zentrums hatten in einer Meta-Analyse der vorliegenden Studien zu belegen versucht, dass die methodischen Mängel einiger Studien so gravierend sind, dass im Endeffekt ein eindeutiger Nutzen des Mammographie-Screenings durch höhere Überlebensraten davon nicht abzuleiten sei. Selbstverständlich wurden auch diesen Autoren umgehend methodische Mängel ihrer Analyse angekreidet. Wenn es denn überhaupt einen Nutzen bezüglich der Überlebensrate gibt, liegt dieser in der Größenordnung von einer Frau von 1000 über einen Zeitraum von 10 Jahren.

Wegen der höheren Prävalenz bei älteren Frauen wird der Nutzen mit zunehmendem Alter immer größer. Dieser Effekt wird unterstützt durch zunehmenden Sensitivität und Spezifität der Mammographie bei den fettransparenten Brüsten der älteren Frauen. Dieser diagnostische Vorteil wird allerdings durch die Einnahme von Östrogenen in den Wechseljahren wieder aufgehoben.

Dennoch: auch bei den 60 Jährigen haben, legt man die amerikanische Studie zu Grunde, nur 16 von 100 Frauen mit positivem Mammographiebefund tatsächlich Brustkrebs (9).

Gibt es auch einen Nutzen der "Späterkennung"?

Durch Früherkennung wird Brustkrebs eher erkannt. Dies hat jedoch nur dann einen Vorteil, wenn die Behandlung in diesem Stadium den Tod durch Brustkrebs verhindern kann. Spontan denkt man, dies sei logisch und wird meist der Fall sein.

Auch etwas anderes könnte der Fall sein. Frauen, bei denen früh Brustkrebs diagnostiziert wurde, und deren Lebenerwartung sich dadurch nicht verbessert hat, müssen länger als Krebspatientinnen leben, was in der Regel zu einer schlechteren Lebensqualität führt: z. B. durch Lymphödem, bestrahlte Brust oder gar Brustverlust.

Oder auch: es wird Brustkrebs gefunden, der lebenslang stumm geblieben wäre. Die Frau wird nur durch die Früherkennung zur "Krebspatientin".

Und die Strahlenbelastung?

Zu den Risiken einer Screening-Mammographie gehört ohne Frage auch die Strahlenbelastung. Immerhin setzen wir symptomfreie, gesunde Frauen Röntgen-Strahlen aus, was nach der Röntgen-Verordnung gar nicht zulässig ist. Gesicherte Ergebnisse gibt es hierzu nicht, Hochrechnungen hierzu fallen je nach Sichtweise unterschiedlich aus. Man schätzt, dass pro 10.000 Frauen, die 10 Jahre lang jährlich eine Mammographie machen lassen, eine Frau zusätzlich an Brustkrebs durch Strahlenwirkung stirbt (nach 11). Das Strahlenrisiko für die Brust sinkt allerdings mit dem Alter drastisch ab. Deshalb ist es als besonders kritisch zu betrachten, junge Frauen mit klinisch unverdächtigen Tumoren (z. B. Fibroadenom) zu mammographieren, was allerorts bedenkenlos gemacht wird. Für Frauen, die in den Wechseljahren Östrogene einnehmen, verbleibt das Strahlenrisiko vermutlich auf dem Niveau von geschlechtsreifen Frauen.

Modellversuch Bremen

Nach langer Diskussion und auf zunehmenden öffentlichen Druck soll nun in Bremen mit einem Modell-Versuch zum Mammographie-Screening begonnen werden, um nach ca. 3 Jahren über die flächendeckende Einführung in Deutschland zu entscheiden. Wer denkt, dass dort vor allem der Nutzen untersucht werden soll, der irrt. Dies ist schon wegen der kurzen Laufzeit des Modellversuchs nur sehr begrenzt möglich. In Bremen, später auch in Wiesbaden und Weser-Ems soll untersucht werden, wie das Screening im dezentralen deutschen Gesundheitssystem so organisiert werden kann, dass die Vorgaben der europäischen Leitlinien erfüllt werden, und vor allem, ob und wie es gelingt, 70 % der Frauen zwischen 50 und 69 Jahren zur Teilnahme zu bewegen.
Noch nicht begonnen, und schon hagelt es Kritik: Die Frauen seien in die Vorbereitungen nicht eingebunden gewesen, Werbung statt Information beklagt die Frauen-Beauftragte des Bremer Senats. Frauenärzte fordern, die Rö-Untersuchung um die ärztliche Tastuntersuchung und weitere Zusatzuntersuchungen zu erweitern. Es sollte sogar ein eigener Studienarm für die ärztliche Untersuchung angelegt werden. Dies ist zu sehen vor dem Hintergrund einer kanadischen Studie, die die ärztliche Tastuntersuchung als der Mammographie gleichwertig befunden hat(12). In einem Konsensuspapier unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Senologie versuchten zahlreiche Medizinische Fachgesellschaften, den kleinsten gemeinsamen Nenner für die Brustkrebsfrüherkennung zu finden (2). Das Papier bleibt z.T. hinter den entsprechenden EU-Richtlinien zurück, was die Träger des Bremer Modellprojekts zu einer kritischen Stellungnahme veranlaßte. In Bremen geht es hintergründig auch um ein Modell zurQualitätssicherung, um interdisziplinäres Handeln, um Einflußsphären und um Geld.

Qualitätssicherung bei der Mammographie

Fachleute und Frauenverbände beklagen schon seit längerem die schlechte Qualität, auch der diagnostischen (kurativen) Mammographie in Deutschland. Fachleute schätzen die Zahl der verdeckten Screening-Mammographien auf 3-4 Mio /Jahr, wodurch ca. 200.000 falsch positive Befunde produziert werden. Zusammen mit denen aus der kurativen (symptombezogenen) Mammographie führt dies zu etwa 100.000 unnötigen operativen Biopsien/Jahr bei Frauen, die keinen Brustkrebs haben (7, siehe auch "Aklärung..", S. xx). Angesichts dieser Zahlen sehen Befürworter des Screenings, darunter auch einige Frauen-Initiativen, in den Modelversuchen die Chance, eine qualitative Verbesserung der Früherkennungs-Mammographie in Deutschland zu erreichen. Gefordert wird die Aufnahme der qualitätsgesicherten Mg nach EU-Leitlinien in das gesetzliche Früherkennungsprogramm, was allerdings kurzfristig nicht zu realisieren ist. Anderseits wird gefordert, Maßnahmen zu ergreifen, die sofort zu einer Qualitätssteigerung und -sicherung der Mammographie führen. Neben besserer Aus- und Fortbildung der Ärzte, gleichem und hohem technischem Standard wird auch eine bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit eingefordert. In Zentren müssen Radiologen, Operateure und Pathologen eng zusammenarbeiten. Auch die Schulung der Frauen in Selbstuntersuchung ist eine sehr preiswerte und effiziente Maßnahme, wie verschiedene Untersuchungen zeigten. Diese Effizienz wird allerdings von einigen Frauengruppen stark angezweifelt. Experten schätzen, dass durch eine Qualitätssicherung in der kurativen Mammographie schon ein Drittel soviel Frauen gerettet werden könnten wie durch ein flächendeckendes Mammographie-Screening (7). Alle reden von Qualitätssicherung, seit 10 Jahren ist sie Gesetz, wann kommt sie?

Auch eine ethische Frage...

Ob man sich in Abwägung des Nutzens und des Nicht-Nutzens sowie des möglichen Schadens für oder gegen ein Screening entscheidet, sollte im ärztlichen Beratungsgespräch von der Patientin selbst entschieden werden. Wichtig ist jedoch, dass sich sowohl der beratende Arzt der statistischen Zusammenhänge und der Datenlage bewußt ist, als auch die Patientin von ihrem wahrscheinlichen Irrtum befreit, die Mammographie habe immer und nur Nutzen für sie. Es ist auch eine ethische Frage, wievielen Frauen wir zumuten dürfen, einen falsch positiven Befund zu erhalten, evtl. mit operativer Biopsie, um einer Frau eine Früherkennung ihres Brustkrebses zu ermöglichen.
Bei Einführung eines qualitätsgesicherten Screenings in Deutschland sind ähnliche Ergebnisse bezüglich der Trefferquoten zu erwarten, wie in Holland, wobei entschieden werden muß, wie man die Gewichtung zwischen Sensitivität und Spezifität legen will. Außerdem müßte entschieden werden, ob nur ein reines Mammographie-Screening durchgeführt wird, wie in Holland, oder ob das Screening primär ergänzt wird z. B. durch ärztliche Tastuntersuchung mit Anamneseerhebung und ggf. Sonographie. So jedenfalls fordern es Frauenärzte, wie ehemals Prof. Schulz, damals 2. Vors. der Dt. Ges. f. Senologie.

In Kenntnis der statistischen Zusammenhänge könnte auch versucht werden, vor allem die Frauen zu screenen, die einen größeren Nutzen, d. h. einen hohen positiven Vorhersagewert haben. Dies träfe z. B. auf Frauen mit zunehmendem Alter zu, oder auch auf Frauen mit familiärem Risiko. Es kann auch sinnvoll sein, eine Patientin mit Krebsangst durch eine unverdächtige Mammographie zu beruhigen.
Den anderen Frauen sollte man jedoch nicht verhehlen, dass nur eine verschwindende Minderheit einen Nutzen, die überwiegende Mehrheit keinen Nutzen hat und ein nennenswerter Teil der Frauen unerwünschte Wirkungen eines Mammographie-Screenings in Kauf nehmen muss.

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  1. ANDERSSON, I. et al.: Brit. Med. J. 297 (1988), 943-948
  2. Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland: Kosensus-Konferenz
    Dt. Ges. f. Senologie, Bonn 24.2.2000
  3. Der Tagesspiegel, Berlin 26.3.2000
  4. Eddy, D. M. (1982). Probabilistic reasoning in clinical medicine:
    Problems and opportunities. In D. Kahneman, P. Slovic & A. Tversky (Hrsg.).
    Judgment under uncertainty: Heuristics and biases (S. 249-267). Cambridge: Cambridge University Press.
  5. ELMORE, J. G. et al.: N. Engl. J. Med. 338 (1998) 1089-1096
  6. Gotsche, P., O. Olsen: Lancet 355 (2000), 80, 129
  7. Hölzl, D.: pers. Mitteilung 6/2000
  8. Karsa, L.: Onkologe 4 (1998), 723-730
  9. KERLIKOWSKE, K. et al.: J. Am. Med. Ass. 276 (1996), 39-43
  10. KERLIKOWSKE, K. et al.: J. Am. Med. Ass. 273 (1995), 149-154
  11. MÜHLHAUSER, I. et al.: arznei-telegramm 10 (1999), 101-108
  12. Narod, S.A.: Lancet 349 (1997), 1846
  13. NYSTRÖM, L. et al: J. Med. Screening 3 (1996), 85-87

Stand: 26.06.2010