Carcinoma in situ (Oberflächenkarzinome)
Duktales Carcinoma in situ: DCIS
Carcinoma lobulare in situ: CLIS
Autor: Dr. H.-J. Koubenec (Impressum)
Quelle: Tumorzentrum München: Mammakarzinome 2009
und eig. Expertenwissen
Einführung
Eigentlich sind Oberflächenkarzinome, wie schon der Name sagt, gar keine "richtigen" Karzinome: Sie bestehen zwar aus Krebszellen, ihnen fehlt aber - glücklicherweise - die wichtigste Eigenschaft von richtigen Karzinomen, das zerstörerische (infiltrative oder invasive) Wachstum in die Umgebung. Sie durchbrechen nicht die so genannte Basalmembran, die die Trennwand der Milchgänge und Drüsenläppchen zum umgebenden Brustgewebe bildet. Deshalb können sie auch keine Metastasen bilden. Sie wachsen innen, wie eine Auskleidung in den Milchgängen und Drüsenläppchen. Wegen dieser Eigenschaften werden sie auch als Krebsvorstufen bezeichnet. Oberflächenkarzinome (lat. "in situ carcinome") wachsen zu 95 % in den Milchgängen, den Duktus (Duktales Carcinoma in situ, DCIS) und zu 5 % in den Drüsenläppchen, den Lobuli ( Carcinoma lobulare in situ, CLIS). Solange DCIS und CLIS tatsächlich am Ort verbleiben, bräuchten sie nicht behandelt zu werden; wenn man sie behandelt, so erfolgt dies vorbeugend. Einerseits aus Angst, es könnte sich ein richtiger, invasiver Krebs daraus entwickeln, andererseits, weil man nie ganz ausschließen kann, dass an irgendeiner Stelle das Oberflächenkarzinom doch die Basalmembran durchbrochen hat und mikro-invasiv geworden ist. Man schätzt, dass sich nur ca. 50 % der in situ Karzinome zu invasiven (richtigen) Karzinomen entwickeln, und das in einem langen Zeitraum von 10 bis 20 Jahren. Die Entscheidung, nach Oberflächenkarzinomen zu suchen und sie dann ggf. zu operieren, ist deshalb problematisch, da wahrscheinlich die Hälfte der Patienten mit DCIS unnötigerweise behandelt werden.
Wachstumsformen und Prognosefaktoren
Das DCIS ist keine einheitliche Erkrankung. Wie bei den invasiven Karzinomen, haben die Tumorzellen Merkmale wie Diffenzierungsgrad (Grading) und Hormonrezeptoren. Man kann an ihnen auch weitere Prognosefaktoren, wie bei den invasiven Karzinomen, bestimmen, diese zusätzlichen Faktoren haben aber keine Bedeutung. Die klassische Einteilung (TNM-Schema), wie sie für die invasiven Karzinome verwendet wird, erlaubt für die Oberflächenkarzinome nur eine unzureichende Vorhersage über das Rezidivrisiko, also die Heilungschancen. Nach unserem heutigen Wissen kommt dem Sicherheitsabstand, mit dem ein DCIS operativ entfernt worden ist, die größte Bedeutung zu, an zweiter Stelle steht das Grading. Zur Einschätzung des Rezidivrisikos, also der Gefährlichkeit eines DCIS, hat sich der sog. Van Nuys-Index (Van Nuys Prognostic Index, VNPI) bewährt. In ihm werden die Ausdehnung, das Grading und der Abstand zum gesunden Gewebe jeweils in drei Stufen bewertet und addiert.
Van Nuys Prognose Index | 1 | 2 | 3 |
Größe (mm) | <=15 | 16-40 | >=41 |
Absetzungsrand (mm) | >=10 | 1-9 | <1 |
Pathologisches Grading | nonhigh grade ohne Nekrosen | nonhigh grade mit Nekrosen | high grade mit/ohne Nekrosen |
Jeder prognostische Parameter (Größe, Rand, Grading) wird mit 1-3 Punkten eingestuft und addiert, so dass sich Indexwerte von mind. 3 bis max. 9 ergeben.
Die Prognose des DCIS bezüglich Rezidivrate korrelliert gut mit dem Indexwert. Das DCIS entsteht fast immer an einer Stelle in der Brust, breitet sich aber oft nicht kontinuierlich aus, so dass der Eindruck entsteht, es sei an verschiedenen Stellen gleichzeitig entstanden. "Sprünge" von bis zu einem Zentimeter sind möglich. Erst Abstände von 4 cm zwischen Tumorherden lassen den Schluss zu, dass es mehrere Entstehungszentren gibt, das DCIS ist "multizentrisch" entstanden. Ein Problem bei der Diagnose "DCIS" ist, dass selbst bei sorgfältiger Aufarbeitung des entfernten Gewebes durch den Pathologen nie absolut sicher auszuschließen ist, dass doch an irgendeiner Stelle Krebszellen die Wand eines Milchganges durchbrochen haben und damit aus einer "Krebsvorstufe" ein invasives "richtiges" Karzinom geworden ist. Je größer das DCIS ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer nicht sichtbaren (okkulten) Invasion. Bei einer Ausdehnung des DCIS von mehr als 5 cm ist dies in ca. 60% der Fälle gefunden worden. Ist die Größe nur halb so groß, ist dies dagegen sehr selten.
Diagnosestellung: Wie wird ein DCIS üblicherweise gefunden?
Oberflächenkarzinome kann man normalerweise nicht als Knoten oder Verhärtung
tasten und auch im Ultraschall sind sie meist nicht zu erkennen. Die Verdachtsdiagnose
wird eher zufällig gestellt, anlässlich einer Mammographie, wo kleine
Verkalkungen, sog. Mikrokalzifikate, den ersten Hinweis geben. Das
bedeutet aber nicht, dass sich hinter jedem Mikrokalk ein DCIS verbirgt. (Mehr
siehe: Kalk in der Brust, was kann dahinter stecken?)
Auch zeigt sich nicht jedes DCIS durch Verkalkungen in der Mammographie. Wegen
ihrer Neigung zu verkalken, werden Oberflächenkarzinome in Milchgängen
am häufigsten im Rahmen von Mammographie-Screening-Programmen
gefunden. Dort machen sie ca. 20% aller gefundenen Veränderungen aus,
während es sonst nur einen Anteil von 5% an allen diagnostizierten Karzinomen
haben. Wichtig ist, dass ein DCIS immer größer ist als das Kalkareal,
weil nur abgestorbene Tumorzellen verkalken, die lebenden aber nicht. Deshalb
ist es bei der Operation eines DCIS nie ausreichend, nur den Kalkbereich zu
entfernen.
Wird in der Mammograhie Mikrokalk gefunden, brauchen Sie einen sehr erfahrenen
und auf Brustdiagnostik spezialisierten Radiologen (Röntgenarzt), der
zunächst eine Vergrößerungsaufnahme des auffälligen Bereichs
anfertigen wird, um dann einzuschätzen, ob sich der Verdacht auf ein
DCIS erhärtet, oder ob es sich eher um gutartige Veränderungen handelt.
Ist der Mikrokalk nicht oder nur gering verdächtig auf ein DCIS, können
Sie abwarten und, je nach Sicherheit der Diagnose, Mammographiekontrollen
durchführen lassen, spätestens nach einem Jahr. Ist der Kalk verdächtig
auf das Vorliegen eines DCIS, kann nur eine stereotaktische
Biopsie die weitere Klärung bringen.
Bei Verdacht: Biopsie jetzt oder abwarten?
An diesem Punkt sollten Sie zunächst überlegen, welchen Nutzen Ihnen die weitere Ablärung bringt. Aus dem Bauch heraus werden Sie wahrscheinlich glauben: Frühe Erkennung und frühe Behandlung gleich bessere Heilungschancen. Dem ist aber nicht immer so, insbesondere nicht beim DCIS, was ja (noch) kein invasiver (richtiger) Krebs ist. Es besteht nämlich bei diesen Veränderungen die Gefahr der Übertherapie. Da sich geschätzt nur die Hälfte der Oberflächenkarzinome zu "richtigen" invasiven Karzinomen entwickelt, werden auch ca. die Hälfte der behandelten Frauen unnötigerweise operiert, ohne dass Sie einen Nutzen davon haben. Auch entwickeln sich invasive Karzinome aus Oberflächenkarzinomen sehr langsam, in ca. 10-20 Jahren. Sie haben also keine Eile mit der Entscheidung. Sie sollten sich mit einem Arzt, der sich mit dieser Problematik auskennt, beraten und dann enscheiden, ob Sie abwarten oder die Biopsie jetzt durchführen lassen. Dabei sind Ihr Alter und die Ausdehnung des Prozesse wichtige Entscheidungskriterien. In jungem Alter eher mehr machen, im Alter eher weniger. Ein weitere Punkt, an dem Sie sich entscheiden können, ist nach der Biopsie und Vorliegen der Ergebnisse. Wurde z. B. ein DCIS geringer Ausdehnung und mit guter Differenzierung (Grading 1) in der Stanzhistologie gefunden, ist das Risiko der späteren Entwicklung eines invasiven Karzinoms besonders gering. Mit dieser Art des Voegehens haben wir wenig Erfahrung, insbesondere wissen wir nicht, ob ein durch Stanzbiopsie "verletztes" Oberflächenkarzinon in die Umgebung "verstreut" wird. Die Pathologen meinen, diese Gefahr sei nicht gegeben. Auch weisen Erfahrungen mit anoperierten Karzinomen darauf hin, dass eher keine Gefahr besteht. Also wäre: Verdächtigen Mikrokalk zunächst biopsieren zu lassen und anhand des Ergebnisses zu entscheiden ein erwägenswerter Weg.
Behandlung des DCIS
Haben Sie sich zu Behandlung entschlossen, ist die operative Entfernung die
Therapie der Wahl. Es kann brusterhaltend operiert werden, indem der Kalkbereich
mit einem ausreichenden Sicherheitssaum entfernt wird. Der Sicherheitsaum
besteht aus zwei Bereichen: Die Ausdehnung des DCIS ist größer
als der Kalkbereich. Um das DCIS sollte mindestens 1 cm gesundes Gewebe
mit entnommen werden. Stellen Sie sich also nach bioptischer
Sicherung der Diagnose DCIS auf eine Operation ein, die deutlich größer
ist als der Kalkbereich. Da das DCIS meist nicht tastbar und bei der Operation
auch nicht sichtbar ist, muss es vor der Operation markiert werden, damit
es der Operateur überhaupt finden kann. Man kann schon, wenn eine Operation
wahrscheinlich ist, den Kalkbereich bei der Stanzbiopsie durch Einspritzen
von schwarzer Tusche markieren. Das hat keine Nachteile, auch wenn nicht operiert
wird. Die andere Möglichkeit ist die Markierung mit feinen Nadeln, die
kurz vor der Operation unter Röntgenkontrolle in dem Kalkbereich platziert
werden. Eine Röntgenabteilung ist ebenfalls für die Operation selbst
erforderlich, denn das entnommen Gewebestück muss unbedingt geröngt
werden, um sicher zu stellen, dass der Kalk komplett und mit Sicherheitssaum
entfernt wurde. In Kliniken, in denen diese Voraussetzungen nicht gegeben
sind, sollten Sie sich nicht operieren lassen.
Eine Operation der Achselhöhle mit Entnahme von Lymphknoten ist nicht
erforderlich. Sollte sich aber bei der Untersuchung des entnommenen Gewebes
herausstellen, dass doch eine Invasion
vorliegt und damit ein "richtiger" Krebs, ist die Entnahme von Lymphknoten
u.U. nachzuholen.
Nachbestrahlung erforderlich?
Eine Nachbestrahlung der Restbrust senkt das Risiko eines Rezidivs z.T. erheblich. Für die ganz niedrigen Werte des Van Nuys-Prognose Index (VNPI) ist der zusätzliche Nutzen so gering, dass heute folgende Therapieempfehlungen in Abhängigkeit vom Prognoseindex gegeben werden:
VNPI |
Therapieempfehlung |
3-4 |
nur Tumorentfernung |
5-7 |
Tumorentfernung und Bestrahlung |
8-9 |
Entfernung der Brust |
Ergänzende (adjuvante) Behandlung des DCIS: Bringt sie mehr Sicherheit?
Eine Zusatzbehandlung mit Tamoxifen senkt zwar das Risiko eines Lokalrezidivs, sie kann aber, wegen der damit verbundenen erheblichen Risiken und Nebenwirkungen, nicht generell empfohlen werden. Zu viele Patienten würden ohne Nutzen, aber mit gefährlichen Risiken behandelt werden. Eventuell ist eine Tamoxifen-Behandlung für Patienten mit positivem Östrogen-Rezeptor zu erwägen.
Das lobuläre Carcinoma in Situ (LCIS oder CLIS)
Wie der Name schon sagt, ist der Ursprung des CLIS die Drüsenläppchen (lobuli = ... ). Das CLIS ist relativ selten, nur ca. 5% der Oberflächenkarzinome gehen von den Drüsenläppchen aus. Das CLIS gilt als weniger gefählich als das DCIS. Da es nicht zu Verkalkung neigt, wird es meist per Zufall bei der Biopsie von unklaren oder verdächtigen Befunden in der Mammo- oder Sonographie entdeckt. Einen Prognoseindex wie den Van Nuys-Index beim DCIS gibt es beim CLIS nicht. Die Therapie besteht in der einfachen Tumorentfernung, ohne Operation der Achselhöhle und ohne Nachbestrahlung, da das CLIS nicht strahlensensibel ist. Als Nachkontrolle sind jährliche Mammo- und Sonographiekontrollen ausreichend.
Stand: 2.11.2011